Mais für Kinondo

Brief von Tilman Lichtenthaeler (2017)

Wie bereits im vergangenen Jahr, hat unser Kirchenvorstand auch in diesem Jahr wieder beschlossen, seinen Anteil am Erlös des Weihnachtsmarktes für das Projekt „Hilfe für Kinondo“ zur Verfügung zu stellen, und auch unsere Frauenhilfe hat wieder einen großzügigen Beitrag beigesteuert. Erstmals beteiligte sich auch der Kirchenvorstand der Christuskirchengemeinde, und trug mit einem beachtlichen Teil des Ertrags des Weihnachtsbazars dazu bei, dass wir in der Kampagne 2017 gut ausgestattet unsere Arbeit aufnehmen konnten. Ganz besonders habe ich mich über die persönlichen Spenden einiger Gemeindeglieder gefreut, zum einen, weil hier die Verbundenheit und Hilfsbereitschaft von Mensch zu Mensch über Kontinente hinweg spürbar wird, zum anderen weil es natürlich auch ein Zeichen der Wertschätzung unserer Arbeit in Kenia ist. Da auch Frau Dobler in Feldkirch fleißig Spenden gesammelt hatte, konnte ich gleich nach meiner Ankunft am 21. Januar mit unserem neuen Projekt beginnen, dem Bau einer Maismühle in Kinondo.

Wofür brauchen wir eine Maismühle?

Wie die meisten Menschen in Afrika ernähren sich auch die Leute in Kinondo hauptsächlich von Stärkebrei. Je nach Bodenbeschaffenheit, Klima und der Verfügbarkeit von Wasser wird dieser Brei, der bereits morgens für das Frühstück gekocht wird, aus Wurzelgemüse wie Yams oder Manjok, oder aber aus Getreide wie Mais hergestellt.

Bei uns in Europa war das früher nicht viel anders, der bis heute übliche englische Haferbrei Porridge oder die italienische Polenta erinnern an diese Ernährungsform.

In Kenias Küstenregionen wird vor allem Mais angebaut. Er ist robust, kommt mit wenig Wasser aus, verträgt auch die salzige Luft, und besonders wichtig: er ist trotz der feuchten Luft in der Nähe des indischen Ozeans recht gut haltbar. Aus diesem Mais kochen die Menschen ihr tägliches Ugali, einen sehr festen und nahezu geschmacklosen Maisbrei. Ugali ist sicher kein kulinarisches Spitzenerlebnis, aber er macht satt, ist nährstoffreich, und man braucht außer Maismehl nur noch Wasser. Stellen Sie sich einfach vor, wonach wohl der bei uns so beliebte Reis- oder Grießbrei schmecken würde, hätte man weder Milch, noch Zucker oder Zimt zur Verfügung.

Das Problem ist, dass Mais ein extrem hartes Getreide ist, mit den herkömmlichen Holz- oder Steinmörsern ist ihm kaum beizukommen. Auf diese Art kann man Mais allenfalls grob zerkleinern, und dann ist er kaum verdaubar.

Bisher mussten die Kinondoleute ihre Maisernte in die nächstgelegenen Maismühlen nach Msambweni oder Mombasa bringen, ohne eigene Fuhrwerke ist diese jeweils ca. 30 Kilometer weite Reise langwierig und auch teuer. Die dortigen Maismühlen sind zudem Wirtschaftsbetriebe, die natürlich ordentlich verdienen wollen, deshalb ist das Mahlen recht teuer. Erschwert wird die Situation dadurch, dass die Menschen nicht die gesamte Ernte, die sie auf ihren kleinen Shambas erwirtschaften auf einmal zum Mahlen bringen können, denn auf Grund der salzig feuchten Luft wird der gemahlene Mais nach spätestens sechs Wochen muffig und beginnt zu faulen. Der oben beschriebene zeit- und kostenintensive Weg zur nächsten Mühle wiederholt sich also alle paar Wochen.

Also machten wir uns ans Werk, an einem einigermaßen zentralen Punkt inmitten all der Weiler, aus denen sich Kinondo zusammensetzt, nun eine eigene Mühle zu bauen, in der eine weitere Familie Arbeit finden würde, und in der der Mais zu einem sehr viel geringeren Preis gemahlen werden kann. Wir wollen ja nur so viel erwirtschaften, dass diejenigen, die die Mühle bedienen davon leben können, außerdem muss die Stromrechnung für die Mühle gezahlt und eine kleine Rücklage für Reparaturen gebildet werden. Wenn die Mühle gut läuft, sollte es außerdem möglich sein, ein wenig Geld zur Seite zu legen um eventuelle Reparaturen an den von uns gegrabenen Brunnen bezahlen zu können.

Ein idealer Bauplatz fand sich am Rand der kleinen Musterfarm, die wir vor einigen Jahren in Kinondo angelegt haben, um mit den Bauern neue Anbaumethoden und für den hiesigen Boden geeignete Pflanzen zu testen. Diese Farm läuft gut, allerdings hatten wir seinerzeit ein kleines Haus für die Farmarbeiter gebaut, das schon einige Zeit leer steht, weil die Arbeiter inzwischen für sich und ihre Familien eigene Häuser am Rand der Farm gebaut haben. Diese Arbeiterunterkunft liegt geradezu ideal, direkt am „Kinondo Highway“, einer staubigen Pistenstraße, die quer durch Kinondo führt. Außerdem verläuft gleich neben dem Haus eine Starkstromleitung, die ins 30 Kilometer entfernte Msambweni führt, was bedeutet, dass wir nicht von weit her eine teure Stromleitung legen lassen mussten. Der Bauplatz hat einen weiteren Vorteil, er liegt in einer flachen Senke. Dadurch liegt der Grundwasserspiegel hier höher und es gibt auch in der Trockenzeit genügend grün bleibende Bäume, deshalb ist die Gefahr von Buschbränden hier gering. Aus diesem Grund befinden sich in der Nähe beispielsweise auch unsere Schneiderei, das Fishing Center und die Tischlerwerkstatt, Sie sehen woran man hier alles denken muss.

Gleich im Januar begannen wir mit dem Ausbau des Gebäudes. Das Haus wurde vergrößert, bekam ein stabiles Dach und einen tragfähigen Betonboden. Bestehende Fensteröffnungen zur Straße hin wurden wegen des Staubs zugemauert, neue, die Richtung Norden gehen, wo es immer schattig ist, wurden eingebrochen. Vor die Eingangstür wurde eine überdachte Veranda gebaut, die zum einen dafür sorgt, dass während der Regenzeit nicht der gesamte Bereich vor der Tür verschlammt, zum anderen können die Leute hier im Schatten sitzen und warten, während ihr Mais gemahlen wird. Alle Wände wurden glatt verputzt, damit sich kein Ungeziefer einnisten kann, die Fenster wurden vergittert, denn die Maschinen sind teuer und könnten Begehrlichkeiten wecken. Die staatliche Energiefirma Kenya Power legte inzwischen einen Starkstromanschluss ins Gebäude. Da die Lieferzeiten recht lang sind, hatten wir bereits in Mombasa bzw. in Nairobi eine Maismühle, eine Kolbenschälmaschine zum Ablösen der Körner von den Kolben, sowie einen PS starken Elektromotor bestellt, der beide Maschinen antreiben wird. Inzwischen ist die Mühle fertiggestellt. Die Maschinen sind geliefert und aufgestellt und die Lieferfirma hat die frischgebackenen Müllersleute eingewiesen. Die Lagerregale für Maistüten und anderes Zubehör sind eingebaut. Diese Regale konnten wir in der Schreinerei, die ebenfalls zu unserem Projekt gehört anfertigen lassen, sie fertigte auch die Rahmen für die Moskitonetze, die nächste Woche eingesetzt werden.

Wir kamen  alles in allem unerwartet gut voran. Ich glaube, niemand in Europa kann sich vorstellen, wie schwierig es beispielsweise hier ist, ein Stück Winkeleisen zum Aufhängen einer Waage aufzutreiben. Auch die notwendigen Kabel zum Anschluss des Mühlenmotors waren durchaus nicht einfach zu beschaffen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Aber nach einer ganzen Reihe von Baubegehungen, Bauausschusssitzungen und nach ermüdend langatmigem Abklappern von Geschäften auf der Suche nach eigentlich gar nicht so außergewöhnlichen Dingen, waren wir heute schließlich soweit, die große Zeremonie der Einweihung durchzuführen.

Viele Leute aus Kinondo sammelten sich für eine kleine Prozesssion, singend und tanzend machten sie sich auf den Weg zur Mühle. Der frischgebackene Müllersmann Salim (das ist die Swahilivariante von Salomon) durfte unter großem Beifall eine Girlande aus Bougainvillienblüten vor der Mühlentür durchschneiden. Während die Kinondoleute dicht gedrängt an Fenstern und Türen zuschauten, begrüßten wir die erste Kundin und weihten die Maschinen ein. Danach gab es eine große Party unter den Mangobäumen auf der Farm. Immer wieder wurde ich von unterschiedlichsten Leuten angesprochen und gebeten, Ihnen in Kelsterbach den Dank der Menschen aus Kinondo zu überbringen. Wir Europäer können uns gar nicht vorstellen, wie sehr das Mühlenprojekt das Leben der Menschen hier verbessern wird, die Leute von Kinondo jedenfalls sind voll von Dankbarkeit und überglücklich.

Was uns mit Zufriedenheit erfüllt, ist der Umstand, dass es uns ein weiteres Jahr gelungen ist, unterhalb des Radars der „Begehrlichkeiten“ kenianischer Behörden zu bleiben, das bedeutet, auch in diesem Jahr konnten wir wirklich jeden einzelnen gespendeten Euro ohne Abzug in unsere Projekte investieren.

Außer der Mühle konnten wir in diesem Jahr zwei weitere Brunnen fertigstellen, und in vierzehn Tagen werden wir endlich das neue große Fischerboot aus Mangoholz, mit dessen Bau wir im vergangenen Jahr begonnen haben, und das auf Wunsch seiner beiden Spender den Namen Babett erhalten wird, zu Wasser lassen.

Ende März werde ich nach Kelsterbach zurückkehren, und ich tue es voll Dankbarkeit für all die Hilfe, die Sie durch Ihre Spenden ermöglicht haben. Das Leben in Kinondo ist weiterhin kein Spaziergang, aber den Menschen geht es besser und sie haben Hoffnung. In den letzten Jahren hat sich hier niemand mehr auf die Flucht in eine scheinbar bessere Zukunft, zunächst nach Nairobi und schließlich auf den Weg nach Europa gemacht. Ich habe allerdings aus anderen Orten schlimme Geschichten gehört, so zum Beispiel von einem jungen Mann, den ich schon häufiger getroffen habe, und dessen letztes Lebenszeichen vor einigen Monaten kam. Er sei an der libyschen Mittelmeerküste und warte auf die Überfahrt. Seither hat niemand mehr etwas von ihm gehört.......

Ich sage Ihnen von Herzen, auch im Namen von Frau Dobler Dank dafür, dass es uns durch Ihre Hilfe möglich ist, die Menschen aus Kinondo vor einem solchen Schicksal zu bewahren. Diesem Ziel sind wir auch in diesem Jahr ein Stück nähergekommen, und wenn wir Ende März nach Europa zurückfliegen, werden wir mit Sicherheit schon wieder Pläne für weitere Projekte im kommenden Jahr haben.